Internationales Förderprogramm: Wissenschaftler am Tiergarten erforschen Heilwissen von Fledermäusen

Viele Tierarten wissen sich bei Krankheiten und Parasitenbefall zu helfen. Einige Vogelarten und auch Kapuzineraffen beispielsweise befreien sich von Parasiten, Pilzen und Bakterien, indem sie sich mit Ameisen einreiben und deren Säure nutzen. Hunde und Wölfe fressen Gras, vermutlich um den Darm von Parasiten zu befreien. Auch Fledermäuse sind Wirtstiere für zahlreiche Viren und Bakterien und kommen erstaunlich gut damit zurecht. Wie machen sie das und welche Mittel oder Pflanzenstoffe helfen ihnen dabei? Das versucht der Forschungskurator des Tiergartens der Stadt Nürnberg, Dr. Ralph Simon, nun bei einem internationalen Projekt gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern herauszufinden. Die auf drei Jahre angelegte Forschungsarbeit wird vom renommierten Human Frontiers Science Program mit insgesamt 1,2 Millionen Dollar gefördert.
Ebenso beteiligt sind die Friedrich­Alexander­Universität Erlangen­Nürnberg (FAU, Lehrstuhl für Maschinelles Lernen und Datenanalytik, Professor Dr. Björn Eskofier), die Universität von Oklahoma/USA und das Smithsonian Institut für Tropenforschung (Smithsonian Tropical Research Institute) in Panama. Über das Programm „Wissenschaftler für Wissenschaftler“ (Scientists for Scientists) konnten Dr. Ralph Simon und seine Kollegen eine zusätzliche Förderung einwerben – dank dieses Budgets ist es möglich geworden, auch vier ukrainische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende aus Nürnbergs Partnerstadt Charkiw an dem Projekt zu beteiligen.

Schon gut ein Jahr vor der Förderzusage begannen der Biologe und Fledermausexperte Dr. Ralph Simon und der Computer­Ingenieur Julian Deyerler vom Lehrstuhl für Maschinelles Lernen und Datenanalytik der FAU, einen Flügelscanner für Fledermäuse zu entwickeln. Zweck des Geräts ist es, einzelne Tiere anhand individueller Flügelmerkmale wiederzuerkennen. Getestet haben sie den Scanner an Blumenfledermäusen im Manatihaus des Tiergartens.
Dafür entwickelten sie einen Scanner, der die Fledermäuse im Schwirrflug an der Blüte mit Hochgeschwindigkeit aufzeichnet, sodass es möglich wird, die individuellen Flügelstrukturen zu erkennen. „Anfangs hatten wir Bedenken, dass unser Ansatz auf Basis von künstlicher Intelligenz nicht funktioniert, weil die Flügelstrukturen auf den Standbildern nicht immer klar zu erkennen waren, aber als unser Algorithmus dann Wiedererkennungsquoten von über 90 Prozent erreichte, wussten wir, dass unser Ansatz der richtige war“, sagt Deyerler.
Dass sie einzelne Fledermäuse gezielt wiederfinden und ­erkennen können, ist für die Forscherinnen und Forscher im weiteren Projektverlauf entscheidend: Denn sie wollen unter anderem herausfinden, ob Tiere, die bestimmte Pflanzen oder Insekten fressen, weniger Parasiten haben als andere. Dabei konzentrieren sie sich auf fruchtfressende Blattnasenfledermäuse, die aus der gleichen Familie stammen wie die Fledermäuse im Manatihaus.

Nächste Station: mittelamerikanischer Regenwald
Im nächsten Schritt geht es im Februar dafür für Dr. Ralph Simon, Julian Deyerler, einige Krankheitsökologen von der Universität Oklahoma und die ukrainischen Studentinnen und Studenten sowie Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Ukrainischen Fledermaus Rehabilitationszentrums (Ukranian Bat Rehabilitation Center) für vier Wochen nach Panama.
Auf Barro Colorado Island, einer Insel im Gatúnsee, der Teil des Panama­ Kanals ist, werden sie zunächst gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Rachel Page vom Smithsonian Institut eine Bestandsaufnahme machen: In welchem Zustand befinden sich die dort lebenden fruchtfressenden Blattnasenfledermäuse? Um das herauszufinden, werden sie einzelne Tiere fangen, Blut­ und Fellproben nehmen und sie anschließend wieder frei lassen. Kotproben sollen Aufschluss darüber geben, was die Tiere gefressen haben.
Barro Colorado Island eignet sich für diese Feldforschung besonders, weil der Regenwald dort sehr gut kartiert und erforscht ist. Auch hat das Smithsonian Institut für Tropenforschung dort eine Forschungsstation. Nach dieser ersten Bestandsaufnahme wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den kommenden Jahren mehrmals den Immunstatus der Tiere bestimmen und unabhängig davon auch sehen, welche Früchte und Pflanzenteile die Fledermäuse wählen. Eines ihrer Ziele: herausfinden, ob dies Pflanzen sind, die sekundäre Pflanzenstoffe enthalten und die beispielsweise eine antibakterielle Wirkung haben. Sekundäre Pflanzenstoffe sind Bestandteile einer Pflanze, die sie nicht unbedingt zum Überleben braucht – wie zum Beispiel Koffein im Kaffeestrauch.
Aber die Neugierde der Wissenschaftler geht noch viel weiter. „Wir möchten erforschen, wie die Tiere die Informationen über bestimme Früchte weitergeben“, sagt Dr. Ralph Simon. „Ist das Wissen angeboren, kommunizieren sie darüber oder lernen sie es, indem sie erfahrene Artgenossen beobachten?“ Als Fledermausexperte und ­fan sieht er das Projekt als Riesenchance. „Wir können hier nicht nur Erkenntnisse erlangen, die vielleicht für die Medizin relevant sind, sondern wir können auch viel mehr über Ökologie der Blattnasenfledermäuse herausfinden und somit deren oft noch völlig unbekannte Lebensweise besser verstehen lernen.“

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